Hamburger Abendblatt
Eine Hamburgerin in Sumatra
Filmemacherin: Inge Altemeier beobachtet die Hilfsmaßnahmen in Krisengebieten.

Von Jens Meyer-Odewald

Hamburg - Die Hilferufe sind eindringlich, aber nicht laut. Via SMS oder E-Mail treffen sie in Hamburg ein. "Wieder haben wir die Nacht auf dem Moschee-Berg verbracht", schreibt Imram aus Lhoksmawe, Provinz Aceh, Nordsumatra, Indonesien. "Viele weinen und schreien, auch den Erwachsenen zittern die Knie." Die kleinste Erschütterung löst Furcht vor einem neuen Beben aus - und vor einem weiteren Tsunami.

In ihrem Zwei-Zimmer-Büro in der Arnoldstraße in Hamburg-Ottensen startet Inge Altemeier sodann erste schnelle Hilfsmaßnahmen: beruhigende Telefonate, Blitz-Überweisungen oder Einsatz von Freunden vor Ort. Bei ihren mehr als 20 Sumatra-Expeditionen hat sich die 48 Jahre alte Fernsehjournalistin ein Netzwerk hilfreicher Hände aufgebaut. Gut, daß sie die Landessprache beherrscht und die landestypischen Gebräuche kennt.

Immer ist sie als Einzelkämpferin unterwegs - kameratechnisch unterstützt von Miko Valtasaari und dem Team des finnischen Fernsehens. Diese ungewöhnliche Konstellation hat sich bewährt. Hierzulande waren Inge Altemeiers nachdenklichen Erfahrungen in der Sendung "Auslandsreporter" des SWR sowie auf Phoenix zu sehen: Wie wirkungsvoll ist die Flutopfer-Hilfe in einer Region, in der Rebellen und Militär den Ton angeben?

Die Reportagen gefallen nicht jedem, zeigen sie doch schnörkellos mieses Management und menschliches Unvermögen auf. So berichtet die Hamburger Filmemacherin zum Beispiel über Menschen, die nicht wissen wohin mit den Leichen auf ihren Grundstücken. Es sei denn, sie zahlen zehn Dollar an korrupte Bürokraten. Oder über mehrere nagelneue Geländewagen einer großen Hilfsorganisation, die nutzlos vor einem Hotel parken, weil es im Rebellengebiet kein Durchkommen gibt. Oder über ein zeitweise fast leeres Sanitätsschiff der Bundeswehr. Weil viele Kranke gar nicht dorthin gelangen könnten.

Inge Altemeier, die mit ihrer privaten Filmfirma auch für "Panorama", "Weltspiegel" und andere öffentlich-rechtliche Sendungen preisgekrönt reportierte, schildert abstruse Erlebnisse. Von Al-Kaida-Aktivisten, die im Elend Nachwuchs organisieren, von Mullahs, die mit Helikoptern zerstörte Dörfer heimsuchen und den Tsunami als "Rache Allahs" verkaufen. Ein arabischer Scheich verteilt in einer Moschee Scheine - aus einem Koffer mit einer Million Dollar Bargeld. Allah soll es ihm später danken.

Im Mai will Inge Altemeier wieder nach Asien reisen; im Sommer und Herbst ebenso. "Ich will ein Auge auf die Hilfsmaßnahmen werfen", sagt sie. Im Dezember will sie für die ARD eine Bilanz drehen: ein Jahr nach der großen Katastrophe.

China, Tibet, Indien, Burma, West-Papua, Tansania sind einige der Stationen, stets in Einklang zwischen "humanistischem, ökologischem Ideal" und Reportergeist. Gerade erst kam sie von einem Flüchtlingstreck aus Mali zurück.

Zwischendurch dient das Ottenser Büro als Anlaufstation - auch für die Initiative "Rettet den Regenwald". Gemeinsam wurden in den letzten Wochen mehr als 10 000 Euro gesammelt - allein in der Arnoldstraße. Über seit Jahren verbündete Indonesier ist diese Summe zielgerichtet angekommen. Weiteres Geld will Inge Altemeier bei der nächsten Reportagetour an die bedürftigsten Stellen bringen. Zuletzt trug sie 30 000 Euro in bar bei sich; passiert ist nichts. "Ich bin eine weiße Frau, spreche Indonesisch, kenne Land und Leute - das ist meine Versicherung", sagt sie.


erschienen am 19. April 2005 in Kultur / Medien